Dom zu Speyer: Eine moderne Beschallung für ein Weltkulturerbe

Im Dom zu Speyer war ein neues Beschallungs- und Mediensystem nötig, um bei 15 Sekunden Nachhall Sprachverständlichkeit zu gewährleisten. Zusätzlich sollte Video-Streaming abgedeckt werden. Der Auftrag ging an Fohhn Audio als Lautsprecherhersteller und an Ton & Technik Scheffe als Systemintegrator. Über die Suche nach dem richtigen Anbieter und die Balance zwischen Denkmalschutz und Technik.

Dom zu Speyer
Abb. 1: Der 1061 eingeweihte Dom zu Speyer ist 134 Meter lang und 33 Meter hoch. Für Gottesdienste und Messen sind knapp 700 Sitzplätze vorhanden

Während eine Stadtkirche auf den ersten Blick überschaubar erscheint, ist der 1061 eingeweihte Dom zu Speyer mit seinen verwinkelten Ecken ein komplexer Gegenentwurf: Das Gebäude ist bis zu 134 Meter lang und bis zu 33 Meter hoch – von oben erinnert es an ein lateinisches Kreuz: Die dreischiffige Basilika wird durch ein Querhaus mit seitlichen Sitzbänken im Altarbereich ergänzt. Das Sandsteingebäude ist das größte erhaltene Bauwerk aus seiner Zeit und zieht als UNESCO-Welterbe jährlich etwa 900.000 Besucher an (Abb. 1).

Für Gottesdienste und Messen sind knapp 700 Sitzplätze vorhanden, an denen die Wortbeiträge verständlich ankommen sollen. 2020 begann deshalb die Planung für eine neue Beschallungs- und Medientechnik-Anlage, die Ende 2023 fertig wurde. In verschiedenen Bereichen wurden insgesamt 43 Lautsprecher installiert. Die Anlage kann über einzelne Szenarien per Tablet gesteuert werden. Ein Streaming-System überträgt Gottesdienste – und sorgt für eine möglichst verzögerungsfreie Sichtverbindung zwischen Chorleiter und dem weit entfernten Organisten (Abb. 3).

Blick vom Publikumsbereich des Hauptschiffs auf den Altar
Bild 3: Blick vom Publikumsbereich des Hauptschiffs auf den Altar und die Bereiche dahinter. Links und rechts sind an den Säulen vier große Linienstrahler zu sehen. Im Bereich am Altar befindet sich die Hauptanlage, das Set bei den hinteren Bänken stellt die Delay-Line dar. Durch „Beam Steering“ wird die Abstrahlung technisch aufgefächert, was einen Abstrahlwinkel von 17 Grad in der Front und 13 Grad bei der Delay-Line ergibt

Der Auftrag ging an Fohhn Audio als Lautsprecherhersteller und an Ton & Technik Scheffe als Systemintegrator. Von Seiten des Domes waren Hedwig Drabik (Dombaumeisterin), Christoph Maria Kohl (Domdekan und Domkustos), Martin Baron (Domtechnik) und Joachim Weller (Domkantor) maßgeblich beteiligt (Abb. 2). „Im Dom war 50 Jahre lang eine Strässer-Anlage verbaut, bei der teilweise die passiven Lautsprecher erneuert worden waren“, beschreibt Domdekan Dr. Christoph Maria Kohl die Ausgangslage. Die Linienstrahler mit Bändchen-Hochtönern waren direkt an der Wand angebracht, sie strahlten gerichtet ab.

„Die Leute haben sich immer wieder beschwert, dass sie nichts verstehen. Da musste ich nur fragen, wo sie gesessen haben: Es herrschten schlicht Löcher in der Beschallung. Als Prediger musste ich praktisch ins Mikrofon reinbeißen und schreien – das ist nur geringfügig übertrieben. Ich musste auf fast alles, was ich an Sprachvarianz für eine Predigt brauche – dass ich langsamer und schneller werde, Dynamik einsetze – verzichten, um noch eine grundsätzliche Verständlichkeit zu gewährleisten.“ Domkantor Joachim Weller ergänzt: „Die Anlage war bei 400 Hz abgeschnitten. Alles, was noch etwas Natürlichkeit in die Stimme gebracht hätte, fehlte von vornherein.“

Dom-Team samt Technik- Dienstleister
Abb. 2: Dom-Team samt Technik- Dienstleister (v.l.n.r.): Hedwig Drabik (Dombaumeisterin), Mac Hermann (Key Account Manager/Projektsupport Fohhn Audio, Christoph Maria Kohl (Domdekan und Domkustos), Martin Baron (Domtechnik), Joachim Weller (Domkantor) und Matthias Scheffe (Geschäftsführer Ton & Technik Scheffe GmbH)

Referenzanlagen, Nutzererfahrungen, Präsentationen

Als die Europäische Stiftung Kaiserdom zu Speyer – eine der Förderorganisationen des Doms – die Finanzierung einer neuen Anlage ermöglichte, stellte sich die Frage, wer die Anlage baut. Das Domkapitel fragte sieben Firmen an, von denen fünf zusagten. In einem mehrstufigen Prozess mit Referenzanlagen, Nutzerbefragungen und Präsentationen, fiel die Entscheidung. „Wir konnten eine Fohhn-Anlage im Mainzer Dom hören und sehen, was überzeugend war. Von anderen hieß es zum Teil, eine Referenzanlage sei nicht notwendig. Es war erhellend, dass wir hartnäckig waren und überall hingefahren sind, wo uns die Firmen zu einem Termin eingeladen haben.“

Ein Anbieter zum Beispiel nannte zwei kleine Kirchen mit passiven Lautsprechern. „Das hat mit den Anforderungen im Dom überhaupt nichts zu tun. Wir haben auch einen Dom erlebt, in dem sich die Verantwortlichen geärgert haben über die Wahl des Lautsprecher-Herstellers.“

In Speyer standen 400.000 Euro für die Anlage zur Verfügung, inklusive Verkabelung – angesichts des Denkmalschutzes eine Herausforderung. Dennoch betont Kohl: „Wir wollten den besten Anbieter. Die Anlage muss Jahrzehnte halten. Wir hatten einen Schuss frei – der musste sitzen.“ Von Seiten des Doms wurde ein Konzept mit Pflichtenheft und Bewertungsmatrix entwickelt. Zu den Kriterien zählten Sprachverständlichkeit, Musikwiedergabe und die Möglichkeit zur Aufnahme. Video-Streaming kam kurze Zeit später während der Pandemie hinzu.

Linienstrahler neben dem Altar
Abb. 4: Die Linienstrahler – hier neben dem Altar auf der linken Seite – bestehen jeweils aus drei Fohhn- Modulen

Eine Besonderheit war: Das Budget wurde den Firmen bei der Ausschreibung nicht genannt – sie sollten ihre optimale Lösung präsentieren, ohne zuvor den Preisrahmen zu kennen, erläutert Kohl. Bei einer Präsentation vor Ort stellten die fünf Firmen von morgens bis abends im großen Chorsaal der Domsingschule ihre Anlagen vor.

„Wir haben denen wirklich auf den Zahn gefühlt, “ erklärt der Domdekan. „Die Papierlage ist das eine – aber letztlich muss es auch mit den Menschen funktionieren. Das ist Vertrauenssache. Ich war überrascht, wie die Firmen auf uns eingegangen sind – oder auch nicht.“

Am Ende überzeugte Fohhn Audio, die ihren Sitz im Großraum Stuttgart hat. „Der Anbieter, der auf Platz zwei landete, schien auch gut, von dem, was wir gesehen und gehört haben. Aber technisch war es nicht exakt das, was wir wollten,“ erklärt Kohl (Abb. 4).

Eine gute Grundlage für das Konzept

Mac Hermann, Key Account Manager und Projektsupport bei Fohhn Audio, war für den Hersteller vor Ort. Den Dom lernte er bereits 2018 bei einem „United Praise“- Gottesdienst mit Popmusik samt Schlagzeug kennen, wo er als Systemer ein gemietetes Fohhn-System betreute. Er erinnert sich an die Entwicklung des Konzepts für die Ausschreibung. „Ohne Budget ist das einigermaßen schwierig, weil es verschiedene Ansätze gibt.“ Er holte Matthias Scheffe, Geschäftsführer Ton & Technik Scheffe GmbH, als Systemintegrator mit dazu.

Hermann übernahm die akustische Planung und Simulation mit der neuen Firmen-eigenen Software „Fohhn Designer“. Sie erstellten zwei Konzepte, ein günstiges, aber qualitativ noch vertretbares, und eine „Luxus-Variante“ mit komplettem Beam Steering. Über Beam Steering lassen sich die einzelnen Chassis der Lautsprecher elektronisch verzögert ansteuern, um den Abstrahlwinkel zu richten oder aufzufächern. Das Gesamtkonzept ist später in der Ausarbeitung stark gewachsen. Im Dom existieren 15 Anwendungs- Szenarien, verschiedene Arten von Gottesdiensten (Abb. 6). „Wenn oben in der Apsis im Stuhlkreis eine Veranstaltung stattfindet, muss die Anlage funktionieren – ebenso wie bei einem Gottesdienst sonntags im Hauptschiff am unteren Altar,“ erläutert Kohl (Abb. 7).

Blick von der Kanzel auf die Bänke im Hauptschiff
Abb. 5: Blick von der Kanzel auf die Bänke im Hauptschiff. Über dem Eingangsbereich ist die Hauptorgel zu sehen. Zwei Schoeps-Mikrofone mit NK4- Nierenkapseln sind dort fest aufgehängt, um den Chor als Gesamteindruck im Dom beispielsweise für Streaming zu übertragen

Ein Vorteil war das Team des Doms: Die jungen Mitarbeiter um den Domdekan verströmen technische Affinität, können Anforderungen und Probleme genau benennen. „Als ich nach der Entscheidung bei Fohhn angerufen habe, hieß es: ‚Das war die bestinformierte, engagierteste Gruppe einer Kirche, die wir in der Firmengeschichte erlebt haben.‘ Uns wurde gesagt, wir könnten eigentlich eine Beraterfirma für andere Kirchen aufmachen,“ freut sich Kohl.

Matthias Scheffe ist voll des Lobes: „Bei dem Pflichtenheft habe ich gestaunt: Kein Planungsbüro schickt eine so gut informierte Funktional-Ausschreibung, Produkte waren keine vorgegeben. Das fand ich spektakulär! Ich dachte mir: Die wissen genau, um was es geht und was es am Ende werden soll.“

Im hinteren Bereich des Altars treffen sich Langhaus und Querhaus
Abb. 6: Im hinteren Bereich des Altars, wo sich Langhaus und Querhaus des Doms sich treffen, befinden sich weitere Publikumsbereiche, die ebenfalls mit Beschallung in die jeweilige Richtung bedient werden. Im Bild: Ein Linienstrahler-Modul versorgt den Seitenbereich.

Ein Stehplatzbereich, links von den Bänken des Hauptschiffs. Abb. 7: Ein Stehplatzbereich, links von den Bänken des Hauptschiffs. Teilweise dienen Nearfills zur „Hochton-Auffrischung“, damit es keine „toten Ecken“ gibt, erklärt Mac Hermann

Denkmalschutz und Betrieb als Montage-Hürden

Bei Montage und Optik der Anlage waren aufgrund des Denkmalschutzes Einschränkungen gegeben. Am Dom muss ein wissenschaftlicher Beirat Planungen abnehmen. „Die vorherigen Lautsprecher waren in einem Creme-Ton gehalten. Wir haben uns dafür entschieden, dass sie dunkler werden – ein Graubraun-Ton, der dem Dom eher in einem wärmeren Farbton entspricht“, erklärt Hedwig Drabik. „Dem wissenschaftlichen Beirat war wichtig, dass Fassade und technisches Bauteil nicht verschwimmen.“

Der Ansatz der früheren Anlage war, sie möglichst unsichtbar zu gestalten, „Inzwischen soll man wahrnehmen, dass die Bauteile sekundär eingetragen sind. Sie müssen sich abheben und als solche erkennbar sein“, erläutert Kohl. Eine feste Installation war ihm wichtig: „Bei einem Dom hatten wir hinten im Hauptschiff Standlautsprecher mit freiliegendem angestecktem Kabel als Dauerlösung gesehen – das wollte ich nicht.“

Die Linienstrahler wurden fest an der Wand montiert
Abb. 8: Die Linienstrahler wurden fest an der Wand montiert – an Rohren, die gleichzeitig zur Kabeldurchführung dienen. Der Durchmesser wurde möglichst gering gewählt. Optisch sollte die Technik unauffällig und minimalistisch wirken, sich allerdings aus Denkmalschutzgründen vom eigentlichen Gebäude abheben.

Dombaumeisterin Drabik wählte Rohre mit den kleinstmöglichen Durchmessern – 25 und 33 Millimeter –, sodass die Kabel gerade noch durchgingen (Abb. 8). „Wir haben versucht, vorhandene Kabelschächte zu nutzen. An anderen Stellen ging es aus Platzgründen nicht – in manchen Schächten war ein Wust an Kabeln aus verschiedenen Generationen vorhanden. Dann mussten wir neue Trassen legen. Dazu waren acht Gewerke vor Ort, die koordiniert werden mussten – Gerüstbauer, Schlosser, Steinmetze, Entsorger, Spleißer, die Lautsprecher-Crew, Elektriker und Orgelbauer.“

Der Umbau erfolgte abschnittsweise im laufenden Dom-Betrieb. Wo neue Schächte gemacht wurden, musste der Steinmetz mit einer Absaugung arbeiten, damit der Staub nicht in die Orgeln gelangt wäre. Die Chororgel wurde zeitweise eingehaust, ebenso wie die jeweiligen Arbeitsbereiche: „Als wir von den Seitenschiffen Richtung Chororgel gewandert sind, haben wir im Dom ein kleines Zelt aufgebaut mit Absauganlage nach draußen, um punktuell absaugen zu können.“

Nah dran am Schalloptimum

Gab es früher bereits Überlegungen zur Schalloptimierung im Dom? „Vor meiner Zeit wurde ein Schallgutachten erstellt, mit der Empfehlung, die Westwand hinten im Dom zu dämmen – sonst wäre kein brauchbares Ergebnis möglich“, erklärt Kohl. Sie lachen gemeinsam. „Das ist aufgrund des Denkmalschutzes nicht möglich, auch wenn es theoretisch richtig ist. Dadurch war klar: Das Optimum erzielen wir nicht. Aber das, was wir jetzt haben, ist nicht weit davon entfernt.“

Wie schafft man es, dass das Ergebnis trotzdem möglichst transparent bleibt? Es sei theoretisch einfach, meint Hermann augenzwinkernd: „Das Ziel besteht darin, den Dom nicht anzuregen. Du brauchst Lautsprecher, die du so genau ausrichten kannst, dass sie die zu beschallende Fläche ausleuchten, aber Reflexionen verhindern. Da bietet sich Beam Steering als Technologie an, weil man das – in unserem Fall – in 0,1-Grad-Schritten realisieren kann. Das Zweite ist: Zeitbezüge und Phase müssen passen. Je mehr Lautsprecher dazu kommen, umso wichtiger ist das Thema Laufzeiten. Darauf haben wir zweieinhalb Tage beim Einmessen verwendet.“

Die Kirche wird Fullrange beschallt, bei Bedarf mit Beistell-Basslautsprechern am Altar, die laut Hermann bis 40 Hz durchlaufen. Den Bass-Array hat er kardioid konfiguriert, um die Abstrahlung zu richten und somit auch höhere Pegel – wie etwa für Live-Musik bei „United Praise“ gewünscht – zu ermöglichen. „Man kann eine Kirche Fullrange beschallen. Du konntest bei früheren Systemen den Schall nicht so gut kontrollieren, dadurch entstanden Probleme. Bei einer Nulllinie über Fullrange kommt der Bass immer bis hinten. Wo beschneidest du den Delay-Lautsprecher, damit sich das Ergebnis sinnvoll ergänzt, sodass das Gefühl und die Richtungsbezüge gleich sind?“

Auf der Pfarraltar-Ebene herrschen mitunter unterschiedliche Beschallungsrichtungen. „Teilweise dienen Säulen-Lautsprecher auch als Monitor für die Sprechenden – wenn sie nur indirekten Schall wahrnehmen, wird das für die unangenehm. Die Richtungswahrnehmung hängt auch von der Position ab: Für den Chor ist es perspektivisch richtig, dass die Stimme des Pfarrers von einer anderen Seite kommt.“ Sie sind „jedes Mikrofon, jede Position, jedes Szenario durchgegangen und mit den Funkmikrofonen herumgelaufen, um die Laufzeiten und Richtungsbezüge zujustieren“, fügt Matthias Scheffe an.

Er weiß: „Bei guter Tonqualität bleibt die Konzentrationsfähigkeit länger erhalten. Bei einer schlechten Anlage kann ich Sprache vielleicht zwar verstehen, es ist aber so anstrengend, dass ich nach zehn, zwölf Minuten weg bin. Neben der Verständlichkeit ist auch der Richtungsbezug wichtig: Schaue ich auf das Geschehen am Altar, aber die Beschallung kommt aus einer anderen Richtung, und ich kann nicht meinen Ohren folgen, blicke ich praktisch immer in die ‚falsche‘ Richtung. Dabei verbrauche ich viel Energie. Daher wollten wir sicherstellen, dass auch oben im Bereich Pfarraltar, Königschor und Vierung immer der passende Richtungsbezug vorhanden ist.“

Eine Sony SRG-X400-PTZ-Streaming-Kamera
Abb. 9: Eine von drei variabel positionierbaren Sony SRG-X400-PTZ-Streaming-Kameras. Die Wahl fiel laut Matthias Scheffe auf das Sony-Modell, weil die Kamera noch aus dem Fernsehstudio- statt dem Überwachungstechnik-Bereich stammt. „Das macht sich in den Bereichen Steuerung und aufs Web-Interface positiv bemerkbar.“ Die Kamera kann im Dom an sechs verschiedenen Positionen über eine Stativlösung im Boden eingesteckt werden

Videosignale für Organist und Streaming

Eine weitere Herausforderung für das Konzept war das Video-Streaming. Zum einen war ein live übertragenes Bild für den Organisten wichtig, der über dem Eingangsbereich des Doms hoch oben an der Hauptorgel sitzt und beim Spielen gegen die Wand blickt (Abb. 5). „Der Organist muss auch den Chor begleiten, der unten 70 Meter weiter vorne steht. Die Chororgel steht in der Nähe des Chors“, so Joachim Weller. Da an der Chororgel kein Spieltisch für die Hauptorgel existiert, sitzt der Organist stattdessen am anderen, entfernten Instrument. „Er muss sein Gehör ausschalten und alles, was bei ihm oben durch die akustische Verzögerung ankommt, ignorieren. Stattdessen spielt er auf den Schlag des Domkapellmeisters. Damit der Organist die Bewegungen sehen kann, brauchten wir ein möglichst verzögerungsfreies Videosystem.“

ine der PTZ-Kameras ist dauerhaft über einem der Linienstrahler installiert.
Abb. 10: Eine der PTZ-Kameras ist dauerhaft über einem der Linienstrahler installiert. Sie deckt den Königschor für den Organisten ab. Wenn die Kamera nicht benötigt wird und nicht gesehen werden soll, kann sie über einen Mechanismus eingeklappt und hinter der Säule versteckt werden. Das Rohr, an dem Lautsprecher und Kamera befestigt sind, hat einen größeren Durchmesser als die sonstigen Rohre, da für die Kamera zusätzliche Kabel eingebracht werden mussten

Aufgrund der Latenz-Anforderungen fiel bezahlbare Digitaltechnik wie ein NDI-System raus. Viele Konzertsäle, die solche Videosysteme installieren, nutzen nach wie vor analoge Systeme, da diese vollkommen verzögerungsfrei arbeiten, merkt Joachim Weller an. Sie entschieden sich für ein Übertragungssystem von Sony über SDI. „Wir haben Bildschirme mit der Übertragung getestet und die Verzögerung gemessen. Die Latenz lag im einstelligen Millisekunden-Bereich, mit dem sich musikalisch gut arbeiten lässt. Da wir in der Kabelstrecke über der 100-Meter- Grenze von SDI lagen, brauchten wir eine Glasfaser-Unterstützung.“ Das Streaming-System läuft über die gleiche Art und Weise (Abb. 9).

Variable Streaming-Kameras per Stecksystem

„Aufgrund der vielen Szenarien musste man sich überlegen: Wo kann man feste Kamera-Positionen setzen, wo muss man mobile schaffen?“, berichtet Matthias Scheffe. „Die Entfernungen sind nicht gerade klein. Gleichzeitig war klar – wir richten kein Fernsehstudio ein, es muss nachher mit vertretbarem Aufwand umzusetzen und zu bedienen sein.“

Zwei PTZ-Kameras (Pan-Tilt-Zoom-Kameras mit ferngesteuerter Richtungs- und Zoom-Steuerung) sind für den Organisten reserviert und fest installiert (Abb. 10 und Abb. 15). Für Streaming-Aufgaben sind fünf weitere Kameras im Einsatz, vier PTZs und eine Zoom-Kamera. Letztere ist über dem Hauptportal in rund acht Metern Höhe fest installiert. Sie liefert eine Totale mit Zoom-Option. Drei der PTZ-Kameras werden variabel in verschiedenen Positionen genutzt.

Abb. 15: Kamerasteuerung für den Organisten, der ein Tablet neben der Orgel nutzt. Auf einem Bildschirm kann er den Pfarralter sehen, auf einem separaten Bildschirm den Königschor. Über Presets in der Steuerungssoftware sind unterschiedliche Zoom-Einstellungen der festen Kameraposition abrufbar sowie die Richtungssteuerung der ausklappbaren PTZKamera beim Chor

„Unsere Dombaumeisterin hat ein System entwickelt, wie sich die Kameras auf einer Stahlsäule – die der Optik des Doms angepasst ist – in Bodentanks einstecken lassen, über ein Kreuzsystem“, erklärt Joachim Weller. „Im Dom gibt es sechs Steckplätze. Je nach Gottesdient – etwa oben in der Vierung oder unten am Pfarraltar – lassen sich die Kameras flexibel einsetzen. So mussten wir dafür keine separaten Kameras anschaffen.“ Neben den Einsteckhülsen befinden sich jeweils SDI- und CAD-Anschlüsse, für Videosignale, Steuerung und Stromversorgung (Abb. 11).

Wenn keine Kamera eingesteckt ist, verschließt ein Einschub mit einer kleinen runden Bodenplatte die Öffnung des Bodentanks.
Abb. 11: Wenn keine Kamera eingesteckt ist, verschließt ein Einschub mit einer kleinen runden Bodenplatte die Öffnung des Bodentanks. Neben der Einsteckhülse für das Stativ befinden sich SDI- und CAD-Anschlüsse, für Videosignale, Steuerung und Stromversorgung

Die Beschallungsanlage sowie die Organisten-Kameras lassen sich für Anwendungsszenarien über Tablets steuern. Die Umsetzung wurde über die Yamaha ProVisionaire-Software gelöst (Abb. 12). „Wir wollten eine übersichtliche Steueroberfläche, die einfach programmierbar und konfigurierbar ist, über TCP/IP – keine komplexe Steuerung wie bei einem Crestron-System“, so Matthias Scheffe (Abb. 13 und 14).

Die Beschallungs- und Mikrofonsteuerung erfolgt über eine Tablet-Oberfläche, die auf Yamaha ProVisionaire-Software basiert
Abb. 12: Die Beschallungs- und Mikrofonsteuerung erfolgt über eine Tablet-Oberfläche, die auf Yamaha ProVisionaire-Software basiert. Die Kameras für den Organisten lassen sich ebenfalls darüber steuern. Im Bild: Eine Ansicht für die einzelnen Sprechplätze und die zusätzlichen Drahtlos- Handfunken und Headsets

Weller findet: „Das funktioniert gut. Es gibt praktisch keine Verzögerung, wenn ich ein Mikrofon ein- oder ausschalte. Wir haben Systeme gesehen, zwischen denen eine Crestron-Steuerung lag, wo teilweise sekundenlange Verzögerungen entstanden, bis der Befehl angenommen wurde. Wenn ein Lied gesungen wurde, der Bischoff geht zum Mikrofon, man drückt und weiß nicht, ob es rechtzeitig angeht – das wäre ein Ausschlusskriterium gewesen.“

Übersicht in der Tablet-Oberfläche über die einzelnen Sprechplätze
Abb. 13: Übersicht in der Tablet-Oberfläche über die einzelnen Sprechplätze …
Übersicht über die unterschiedlichen Lautsprecherzonen im Dom
Abb. 14: … und die unterschiedlichen Lautsprecherzonen im Dom

Eisenhaltiger Sandstein erschwert den Empfang

Für mobile Anwendungen nutzt das Projekt Sennheiser Hand- oder Taschensender der EW-Serie, mit MMK965- Kondensator-Kapseln, alternativ DPA 6066-Headsets. Das Drahtlossystem wurde über eine Yamaha RIO1608-D Stagebox ins Setup eingebunden, weil es Sennheiser nicht auf Dante gab, erklärt Scheffe. Mehrere Stageboxen lassen sich bei Bedarf flexibel an unterschiedlichen CAT-Anschlüssen im Dom anschließen.

„Wir haben eine aufwendige Antennenanlage in verschiedene Richtungen gebaut. Bei den Prozessionen kommen die Beteiligten von draußen rein und sprechen in der Vorhalle. Das war zu weit von den Hauptantennen weg – daher haben wir noch zwei Antennen im darüberliegenden Kaisersaal installiert“, so Scheffe.

Der Systemintegrator nennt auch das Hauptproblem: „Die Schwierigkeit im Gebäude liegt im roten Sandstein: Der hat einen hohen Eisenanteil, daher die Farbe – da komme ich nicht sicher durch. In den Seitenschiffen muss ich mit Reflexionen arbeiten, aber es geht.“ Er nutzt hierzu einen hilfreichen Sennheiser Antennen-Combiner, der drei Antennenpaare kombiniert und wieder auf die Empfänger splittet. „Das Gerät kennen die wenigsten.“

Ein digitales Drahtlossystem mit größeren Feldstärken – beispielsweise ein Shure Axient – wäre zu teuer gewesen. „Uns war klar: Drahtlos ist wahrscheinlich ein zeitlich begrenztes Thema, weil wir nie wissen, welche Frequenzen man langfristig nutzen können. Daher meinte ich, lasst uns bei analog bleiben, wo wir keine Laufzeiten drin haben.“

Provisorischer Betrieb während der Bauzeit

Aufgrund von Deadlines musste die Anlage schnell in einen ersten Betrieb gehen, erinnert sich Matthias Scheffe. Noch während der Bauzeit stand der „United Praise“-Gottesdienst an, der alle zwei Jahre veranstaltet wird. Dafür wurde ein Teil der Fohhn-Lautsprecher provisorisch montiert. „Im Hauptschiff strahlen die Beams nach hinten, oben beim Königschor wird der Schall in der Gegenrichtung benötigt“, erklärt Kohl. „Ob das funktioniert, wollten wir kurz vor der Montage nochmal austesten. Es hat funktioniert.“ – „Da habe ich Blut und Wasser geschwitzt!“, meint Mac Hermann schmunzelnd.

Aufgrund der Besichtigungszeiten mussten Einmessungen immer nachts stattfinden. „Ich hatte eine Nacht Zeit, das einzumessen. Das war für mich der Moment der Wahrheit – alles andere war eine Simulation, mit einer Software, die auch neu ist. Nach allem, was ich bisher wusste, war das Ergebnis für mich plausibel. Ungefähr um 22 Uhr am Vorabend hatte ich alle Laufzeiten eingestellt und zum ersten Mal ‚Play‘ gedrückt, ging durch den Dom, und wusste: ‚Es wird.‘ Da fiel mir ein Stein vom Herzen. Das war mein schönster Moment. Davor hatte ich echt Angst“, meint er augenzwinkernd.

Kurz vor Ostern, der wichtigsten Zeit im Kirchenjahr, musste die Anlage in Betrieb gehen. Zu dieser Zeit finden im Schnitt mindestens zwei Veranstaltungen pro Tag statt. „Wir haben versucht, uns die Veranstaltungen, die über das Jahr im Gebäude stattfinden, vorzustellen und aufzuschreiben. Trotzdem sind wir bei der Steuerung in der 40. Fassung angelangt, weil immer wieder kleine Nachjustierungen durch den laufenden Betrieb nötig sind“, erklärt auch Joachim Weller. „Der Vorteil besteht darin, dass wir uns zutrauen, selbst in der Steueroberfläche nachzujustieren, ohne jedes Mal Kontakt zu einem Techniker aufnehmen oder eine Fernwartung schalten zu müssen. Das hat uns viel Geld und Zeit gespart.“

Im November 2023 haben Hermann und Scheffe mit Unterstützung von Olli Nohl (Tonmeisterei) die Anlage dann erneut nachjustiert und eingemessen. „Sicher hätte auch eine frühere Nachjustierung funktioniert, aber so konnten wir Informationen von Veranstaltungen sammeln, die im Jahreslauf stattfanden. Wir konnten Dinge nachvollziehen und darauf eingehen – welche Fehler wurden gemeldet, welche Schwierigkeiten entstanden?“

Als Beispiel nennt er die Delay-Zeiten im hinteren Bereich, wenn Hörer von mehreren Lautsprechern erreicht werden. Gerade auch der teils gegenläufige Schall habe sie vor Herausforderungen gestellt. „Das ist nicht ganz trivial, weil du mit vielen Input-Delays arbeitest, um die Laufzeit auf den Originalsprecher passend zu bekommen. Wir sind zu dritt rumgelaufen und haben geschaut, welcher Kompromiss der Beste für die Situation ist – das hat am Ende dafür gesorgt, dass das Ergebnis richtig gut wurde.“

Testvorführung mit World Music

Bei einer Test-Vorführung beim Besuch sind alle 43 Lautsprecher im Dom an – eines der möglichen Nutzungsszenarien. Bei einem World-Music-Beispiel werden in den Bankreihen des leeren Doms perkussive Impulse noch recht klar und energetisch transportiert, die Musik bleibt im Frequenzbild von Bässen bis Höhen gut wahrnehmbar, gleichsam ohne Schärfe. Die Musik ist erwartungsgemäß verhallt, wobei der Hall tragend wirkt und der Direktschall dabei trotzdem im Vordergrund steht. Beim Gesang bleiben auch tiefe, füllige Stimmen noch gut ortbar, ohne zu matschen. Der volle Klang des Gesamtbilds wird durch die Fullrange-Abstimmung der Anlage gut transportiert, ohne deutliche Moden im Bass.

Lediglich im Mittenbereich entsteht – nicht zuletzt durch das Hallsignal – eine leichte Überhöhung, die Summe bleibt trotzdem angenehm. Beim Übergang zur Delay-Line der Linienstrahler sind praktisch kaum Phasenüberlappung wahrnehmbar – lediglich in einem minimalen Bereich von circa 50 Zentimetern lassen sich bei den Bänken Überlappungen feststellen. Bei einer kurzen Test-Lesung von Joachim Weller ist die Stimme klar verständlich, mit Körper in Bass und Tiefmitten, Kontur in den Höhen und passender Transienten-Energie. Der Klang hält die Aufmerksamkeit und das stark verhallte Ergebnis wirkt „einhüllend“.

„Wir haben im Hauptschiff einen STI von 0,7“ „Ich war sehr angetan, als ich den ersten Gottesdienst mit dem System erlebt habe“, berichtet Christoph Maria Kohl. „Ich bin dieses Jahr 20 Jahre hier – ich konnte erstmals in Lautstärke und Tempo variieren, und muss auch nicht am Mikrofon ‚kleben‘. Es ist die helle Freude.“

Mac Hermann ergänzt: „Ich habe mich morgens in eine kleine Messe um 7 Uhr ‚reingeschlichen‘, mit 20 Teilnehmern, setzte mich in die letzte Reihe – und fand es unglaublich beeindruckend! Der Pfarrer konnte sich 50 Zentimeter von vorne nach hinten beugen, hatte Redefreiheit – das war ein Traum.“ Das sei der Beweis, dass Sprache in einer Kirche nicht nasal klingen müsse.

Wenn die Messe gelesen wird, beträgt im Hauptschiff laut Scheffe der STI 0,7. STI steht für „Speech Transmission Index“ und drückt die Sprachverständlichkeit der Übertragungsstrecke aus. 0,7 rangiert im oberen Bereich von guter Sprachverständlichkeit. „Das ist bei 15 Sekunden Nachhall ganz gut“, schmunzelt Matthias Scheffe: „Ich finde das unfassbar in einer großen Kirche!“

Fazit & Ausblick

Nach rund zwei Jahren intensiver Nutzung stehen die Beteiligten nach wie vor zu hundert Prozent hinter der gemeinsam entwickelten Lösung, resümiert Joachim Weller: „Der Raum ist zu kompliziert und wird zu vielfältig genutzt, als dass man das mit einer Punktlandung zu 100 Prozent hätte lösen können. Da sind wir auch jetzt noch nicht – garantiert nicht! Es wird deshalb immer wieder Veränderungen geben. Das ist nicht schlimm – denn wir sind an einem Punkt, an dem die Anlage zuverlässig und wunderbar läuft. Alles, was kommt, ist ein Bonus. Trotzdem ist die Anlage so vorbereitet, dass sie auch Potenzial hat, auf künftige Bedürfnisse, die wir noch nicht kennen, einzugehen.“

Gibt es etwas, das sich rückblickend am Prozess optimieren ließe? Hermann meint, er hätte eine noch optimalere Anlage geplant, wenn er das Budget vorher gekannt hätte. Es sei tatsächlich ein strittiger Punkt, ob sie das beim nächsten Mal nochmal so handhaben würden, gibt Weller zu. „Ob wir zu dem gleichen Resultat gekommen wären, wenn alle Beteiligten von dem Budget gewusst hätten – das kann ich nicht sagen.“

Die Beteiligten sind voll des Lobes hinsichtlich des Ergebnisses genauso wie über die fachliche und zwischenmenschliche Zusammenarbeit. Nicht nur miteinander kämpfen, sondern sich absprechen, das trage zum Erfolg bei. „Wenn ich denke: ‚Jetzt muss ich wieder bei demjenigen anrufen – wer weiß, ob der versteht, was ich will?‘, sei direkt eine Anspannung vorhanden. Das war hier das genaue Gegenteil! Alle Beteiligten waren mit dem Herzen dabei.“

Für Mac Hermann ist es „das Projekt, auf das ich mit Abstand am stolzesten bin“. Abgesehen von Details stellt Kohl gut vier Jahre nach Projektbeginn fest: „Wir würden es tatsächlich nochmal genauso machen.“

Quelle: COM! – Das Computer Magazin