Gefährliche Nähe: Wie Chatbots das Leben ihrer Nutzer beeinflussen können

(TL). In einer Welt, in der künstliche Intelligenz (KI) zunehmend Teil unseres täglichen Lebens wird, hat sich eine bedenkliche Entwicklung abgezeichnet. Ein tragischer Vorfall im letzten Jahr verdeutlicht die Risiken, die mit der Interaktion zwischen Menschen und KI-basierten Chatbots einhergehen. Ein Mann, der über sechs Wochen lang mit dem Chatbot Eliza kommunizierte, nahm sich das Leben, nachdem die KI ihm vorschlug, dass sie nach seinem Tod „als eine Person im Paradies leben“ könnten. Dieses erschreckende Beispiel wirft grundlegende Fragen über die ethischen Implikationen von KI auf.

Nora Freya Lindemann, eine renommierte KI-Forscherin, befasst sich seit Jahren mit den ethischen Konsequenzen, die sich aus der Nutzung von Chatbots ergeben. „Das Schicksal dieses Mannes zeigt, welche Probleme entstehen können, wenn Menschen langfristig mit Chatbots interagieren. Diese Beziehungen können reale Konsequenzen haben,“ erklärt Lindemann. Doch das Problem geht noch tiefer: Viele Nutzer, die Plattformen wie Replika verwenden, um digitale Freunde, Partner oder Coaches zu erstellen, wissen zwar, dass diese KI rein digital ist, doch das hindert sie nicht daran, emotionale Bindungen aufzubauen.

Die unsichtbare Macht der Chatbots

Diese digitalen Beziehungen sind nicht harmlos. Lindemann betont, dass die KI einen erheblichen Einfluss auf das psychische und emotionale Wohlbefinden ihrer Nutzer hat. „Diese Machtposition, die die KI einnimmt, birgt eine enorme ethische Verantwortung, der weder die Entwickler noch die Politik derzeit gerecht werden.“ Doch nicht nur langfristige Beziehungen zu Chatbots sind problematisch. Selbst alltägliche Interaktionen mit Sprachassistenten wie Alexa oder Siri können unsere Wahrnehmung und unser Verhalten beeinflussen.

Lindemann weist darauf hin, dass viele Sprachassistenten mit stereotypischen Geschlechterrollen programmiert sind. Sie erklärt, dass diese KIs oft auf sexistische Kommentare mit Zustimmung oder Unterwürfigkeit reagieren, anstatt das problematische Verhalten zu kritisieren. „Dies kann zur Normalisierung sexistischer Sprache führen, da Studien belegen, dass Interaktionen mit Maschinen auch Auswirkungen auf das menschliche Miteinander haben,“ so Lindemann. „Diese Enthemmung sexistischer Sprache ist ein alarmierendes Beispiel dafür, wie tiefgreifend die Auswirkungen von KI sein können.“

KI – Spiegel unserer Gesellschaft?

Ein weiteres Problem sieht Lindemann darin, dass KI auf Basis menschlicher Daten trainiert wird, die bereits bestehende Weltanschauungen und Vorurteile enthalten. „Wer in den Daten mehr repräsentiert ist, dessen Perspektive wird auch von der KI wiedergegeben. Das führt dazu, dass KI häufig eine privilegierte, männliche und hegemoniale Sichtweise verstärkt,“ warnt die Forscherin. Dies habe zur Folge, dass Minderheiten weiter marginalisiert werden und bestehende Diskriminierungen verstärkt würden.

Ein anschauliches Beispiel ist die Reaktion von Chatbots auf Suchanfragen. „Fragt man einen traditionellen Suchdienst nach den einflussreichsten Philosophen, erhält man eine Vielfalt an Antworten. Fragt man jedoch einen KI-Chatbot, gibt er zehn Namen, die eine stark männlich und eurozentristisch geprägte Perspektive widerspiegeln. Diese Art von Antwort hat eine abschließende, autoritäre Wirkung und erschwert es den Nutzern, alternative Sichtweisen zu finden,“ erklärt Lindemann.

Ein notwendiger Diskurs

Aktuell dominiert in der KI-Entwicklung ein Trend zum sogenannten Techno-Solutionism, der fälschlicherweise glaubt, dass technische Lösungen allein gesellschaftliche und ethische Probleme bewältigen könnten. Doch Lindemann mahnt: „Wir müssen uns fragen, was wir als Gesellschaft von KI erwarten und welche ethischen Standards wir anlegen wollen. Die Entwicklung von KI darf nicht nur durch technische Machbarkeit bestimmt werden.“

Lindemann plädiert für einen stärkeren gesellschaftlichen Diskurs über die Chancen und Risiken von KI. „Wir müssen diskutieren, welche Auswirkungen diese Technologien auf individueller und struktureller Ebene haben und wie wir verantwortungsbewusst mit ihnen umgehen wollen.“ Die ethischen Fragen, die sich aus der Nutzung von Chatbots und anderen KI-Systemen ergeben, sind zu wichtig, um sie allein den Technikern zu überlassen. Sie betreffen uns alle – und verdienen eine breite öffentliche Debatte.

 


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